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Die Clipping-Lüge
Die Clipping-Lüge
Der weitverbreitetste technische Nonsens ?
"Mit einer grösseren Endstufe wär Dir das nicht passiert !" ...
Solche oder ähnliche Ratschläge werden oft gegeben, wenn jemand
nach einem Lautsprecherdefekt die Frage nach dem "Warum ?" stellt.
Evtl. mal als Umsatzförderung von einem Verstärkerverkäufer
in die Welt gesetzt, wird diese Behauptung heute vor allem in Foren als
vermeintlich besonders intelligentes "Wissen" weitergegeben und ist seit
Jahren nicht totzukriegen. Dabei ist sie doch durch einfaches logisches
Denken zu widerlegen !
Fakten : Was versteht man unter Clipping ?
Als Clipping bezeichnet man die Phänomene, die entstehen, wenn ein
Verstärker im übersteuerten Bereich betrieben wird. Dann kann
ein Verstärker nicht mehr das Eingangssignal um einen konstanten Faktor
verstärkt am Ausgang abbilden, sondern muss die grössten Spitzen
"abschneiden", was im Frequenzbereich Auswirkungen hat.
- Bei 100% der möglichen unverzerrten Ausgangsleistung eines
Verstärkers (oft auch als Nennleistung oder Sinusleistung bezeichnet)
kann der Verstärker ein angenommenes Sinussignal vom Eingang perfekt
auf den Ausgang abbilden. Es entstehen keine Störprodukte, die sich
als Oberwellen (= ganzzahlige Vielfache der Eingangsfrequenz) im
Ausgangssignal bemerkbar machen würden. Der Klirrfaktor k als Mass
für das Verhältnis von Oberwellen zur Grundwelle in einem Signal
ist 0.0 %.
Die Leistung ist das 1.000-fache der max. Ausgangsleistung, was
logarithmisch als 0 dB angegeben wird (siehe Spektrallinie der
Grundfrequenz n=1).
- Drehe ich am gedachten Lautstärkeregler einfach weiter auf, und zwar
hier z.B. so weit, dass die Sinusspannung 1.286 mal so hoch sein
müsste, verzerrt der Verstärker. Durch das Abschneiden der
Signalspitzen entstehen Oberwellen, allerdings nur ungeradzahlige der
Ordnungen n=3, n=5, n=7 usw.. Das heisst, ich gebe auf den Verstärker
z.B. einen Ton von 1 kHz drauf, am Ausgang erscheinen aber Töne von
1 kHz, 3 kHz, 5 kHz, 7 kHz usw., die im Eingangssignal gar nicht enthalten
sind.
Deren Intensität nimmt zu höheren Ordnungen allerdings ab, siehe
Spektrallinien, die hier bis zur 12. Ordnung berechnet worden sind.
Die Summe der Störprodukte im Gesamtsignal ergeben bei dieser
Übersteuerung den Klirrfaktor k=10 %, die Leistung ist dann das
1.289-fache der max. Ausgangsleistung.
Da die Klirrfaktorgrenze von 10 % oft als tolerierbares Mass bei
Verstärkermessungen angenommen wird, können Sie unter diesen
Messbedingungen angegebene Verstärkerleistungen durch 1.289 teilen, um
auf die max. unverzerrte Sinusleistung zu kommen !
- Bei noch weiterer Übersteuerung, hier bis auf Faktor 20, steigen
auch die Verzerrungen weiter an. Hiermit kann ich den Klirrfaktor jedoch
maximal auf etwas über 40 % treiben. Die maximal mögliche
Leistung eines dann idealen Rechtecksignals ist genau das doppelte der
max. Sinus-Ausgangsleistung, also Faktor 2.00 !
In der Praxis wäre dies allerdings etwas weniger, da das Netzteil
eines Verstärkers durch die stärkere Belastung etwas absacken
würde.
Die enthaltene Grundwelle bleibt jedoch immer die stärkste Komponente,
legt aber trotz des Übersteuerungsfaktors von 20 nur um Spannungsfaktor
1.27 (entspricht 1.61-facher Leistung, bzw. +2.1dB) zu. Sie ist immer noch
3.0-mal so stark (also mit 9.0-facher Leistung) wie die zweitstärkste
Komponente, die dritte Oberwelle !
Konsequenzen : Was kann ich daraus schliessen ?
- Jeder Verstärker clippt.
Ein grosser erst ab einer grossen Leistung, dann aber mit entsprechend
grossen Störprodukten.
Ein kleiner schon ab einer kleinen Leistung, dann aber auch nur mit kleinen
Störprodukten.
- Für die Folgen ist es auch egal, ob das Clipping in der Endstufe
entstanden ist oder in einem vorgeschalteten Mischpult oder Verzerrer
für E-Gitarren und dann von einem nicht-clippenden Verstärker
ausgegeben wird. Relevant ist nur, ob die im betroffenen Frequenzbereich
vorhandene Leistungsdichte verkraftet wird.
- Durch Clipping entstandene Oberwellen können einen Mittel- oder
Hochtöner killen, der ansonsten vom Originalsignal keinerlei Anteile
abbekommen hätte.
- Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jedoch nicht sehr hoch, da die
clippenden Oberwellen wesentlich geringere Leistungsintensität haben
als eine mögliche Originalwelle bzw. das Musikspektrum in diesem
Frequenzbereich. Das heisst, durch Clipping können nur Mittel- oder
Hochtöner sterben, die auch ohne Clippen schnell sterben würden,
da sie einfach für diesen Verstärker viel zu schwach
dimensioniert sind !
- Ein Bass oder Breitbänder kann nie und nimmer durch Clipping kaputt
gehen, denn das clippende Signal hat ja insgesamt weniger Leistung als es
das nicht clippende Signal einer grösseren Endstufe hätte. Auch
der Effekt der Oberwellen kann einen Bass höchstens ent- statt
belasten, sofern die Oberwellen ausserhalb seines Übertragungsbereichs
liegen.
- Wenn der Verstärker in den Clipping-Bereich kommt, dann noch ein
Idiot am Regler steht, der trotz bereits hörbarer Verzerrungen noch
weiter aufdreht, ergibt das dann rechteckförmige Signal die doppelte
Verstärker-Nennleistung als Dauerleistung ab.
Bei einem nicht-clippenden grösseren Verstärker ist die evtl.
Überlastung nichtmal am verzerrten Signal hörbar und es braucht
nichtmal mehr einen Idioten, um noch weiter aufzudrehen ...
Um Sicherheit gegen Durchbrennen bei jeglicher Fehleinstellung zu
haben, muss daher die Verstärkerleistung um mindestens Faktor 2
niedriger dimensioniert werden als die Lautsprecherbelastbarkeit !!!
- Durch Clipping entsteht auch nicht, wie oft behauptet, Gleichspannung.
Die Spektralline der Gleichspannung mit Ordnung n=0 zeigt bei keiner
Übersteuerung einen Ausschlag ! Die Geradenstücke eines
verzerrten Signals stellen keine Gleichspannung dar, denn sie wechseln
ja mit der Grundfrequenz die Polarität zwischen + und -, sind also
Wechselspannung !
Auch auf die Kühlung der Schwingspule haben die Geradenstücke
keinen Einfluss : Denn die Membran bleibt ja hier nicht minutenlang stehen,
sondern bläst jede Menge Luft mit Grundfrequenz zwischen zwei
extremen Auslenkungen flatternd !
- Gleichspannung kann in diesem Zusammenhang nur so entstehen :
Wenn die positive Limitierung anders begrenzt als die negative,
also z.B. bei +51 Volt und bei -49 Volt anstatt symmetrisch bei +-50
Volt, dann ergibt sich daraus beim extremen Rechteck ein Mittelwert
von +1 Volt Gleichspannung. Da selbst unsymmetrisch gewickelte
Trafowicklungen je abwechselnd die Plus- und die Minus-Versorgung
aufladen, ist dies unwahrscheinlich und auf jeden Fall klein
gegenüber den Wechselspannungen am Ausgang. Solch kleine
Leistungen schaden keinem Lautsprecher.
- Fast alle gestorbenen Lautsprecher (jetztmal abgesehen von den
mechanisch z.B. durch zu viel Hub zerstörten, was aber eh nichts
mit elektrischer Leistung zu tun hat) sind also nicht an Clipping
kaputt gegangen, sondern schlicht an zu grosser elektrischer Leistung.
Geholfen hätte also nicht eine grössere sondern eine
kleinere Endstufe !
- Glauben Sie demjenigen, der Sie mit der Clipping-Behauptung in Foren
o.ä. berät, nie wieder etwas ! Denn er hat sich dadurch
geoutet als jemand, der gehörte Gerüchte und falsche Aussagen
unreflektiert weitergibt, ohne mal darüber nachzudenken !
Abhilfe : Wie kann ich denn nun wirklich Sicherheit gegen Durchbrennen
erreichen ?
- Die eigentliche Ursache stellt immer eine zu schwache
Lautsprecherbestückung für die geforderte Lautstärke dar
(und der dumme Versuch, dies mit Endstufenleistung auszugleichen) !
Vielleicht sollten Sie einfach weitere / lautere Boxen verwenden ?
Zu mehr Wirkungsgrad, vor allem im Bass, führt vor allem mehr
Membranfläche (egal ob durch Verwendung grösserer Durchmesser
oder durch Zusammenschaltung mehrerer kleiner).
- Mit mehr Leistung als der Lautsprecher verkraftet, wird es nicht mehr
lauter, es verzerrt, heizt und zerstört nur noch mehr ! Das nennt
sich Kompression (siehe Bild).
Linearbereich : Schon hier müssen aufgrund des logarithmischen
Zusammenhangs für gleiche dB-Abstände immer gleiche Faktoren an
Leistung zugegeben werden - in absoluten Differenzen also immer
grössere Watt-Abstände !
Kompressionsbereich : Hier wird der Lautsprecher nicht mehr proportional
zum Leistungszuwachs lauter. Ursachen sind mechanische Begrenzung und
temperaturabhängig zunehmender Widerstand. Die zusätzliche
Leistung wird also äusserst ineffektiv eingesetzt ! Als Kompression
in dB bezeichnet man den Abstand zwischen der realen und der theoretischen
Lautstärke.
Defektbereich : Kann entweder nur für Millisekunden oder auf ewig
erreicht werden !
- "Aber mein Verstärker war nicht voll aufgedreht."
Die Position des Reglers sagt nichts über die Leistung aus, sondern
nur über den Verstärkungsfaktor, also das Verhältnis
Ausgangspegel / Eingangspegel ! Auch bei 1/10 aufgedreht, entstehen bei
entsprechendem Eingangspegel 100% Leistung !
Diese Methode bringt also keine absolute Sicherheit.
- "Ich will aber ne grosse Endstufe. Könnte man die Lautsprecher
auch anders vor Überlast schützen ?"
Evtl. kann man auch noch Limiter, Abschalteinheiten oder PTCs
ergänzen. Aber intelligenter sind sicher kleinere Verstärker,
als grosse Leistung mitzukaufen und vor dessen Entstehung wieder zu
verhindern ! Sinnvoll eingesetzt sind PTCs eigentlich nur, wenn sie
zweigweise in der Frequenzweiche die jeweils verteilte Leistung
limitieren.
Welch absurder Gedanke, in Leistung investieren zu wollen, um diese vor
Entstehung abzuschneiden !?!
- "Dann stell ich meinen Limiter genau auf 99% der Lautsprecherbelastbarkeit !"
Es gibt nicht die eindeutige Zahl der Belastbarkeit. Diese hängt mit
Umgebungstemperatur, Frequenzbereich, Signalform, Impedanzen, Zeitdauer
usw. zusammen. Um Durchbrenn-Sicherheit zu bekommen, müsste ein
Limiter neben dem Rechteck/Sinus-Faktor von 2,0 (s. oben) bei Mehrwegeboxen
nochmals um ca. Faktor 2 bis 5 darunter eingestellt werden, da die Leistung
ja nicht zwingend verteilt, sondern momentan auch zu 100% auf den
Hochtöner (z.B. bei Rückkopplungen !!) gelangen kann !
Jegliche Genauigkeitsüberlegungen sind hier fehl am Platze, da
Leistungsangaben ab Hersteller nicht mehr als einen groben Richtpunkt
darstellen (und oft auch noch gelogen sind !) und je nach Situation
riesig unterschiedliche Leistungen zum Durchbrennen führen.
- "Woran erkenne ich denn glaubhaft hohe Lautsprecherbelastbarkeit ?"
Es mag ja Leute geben, die den Computerboxen für 19,95 EUR die
aufgedruckten 300 Watt glauben. Aber stellen Sie sich mal eine
Glühbirne vor, bei der bei 40 Watt mit über 1000 Grad der Draht
glüht ! Und auf eine Lautsprecher-Schwingspule mit vergleichbarer
Abmessung, deren Isolier-Lack z.B. max. 150 Grad verträgt, wollen
Sie Hunderte von Watt geben ?
Das wichtigste ist daher ein grosser Schwingspulendurchmesser, damit die
Wärme verteilt wird. Z.B. eine 35mm-Schwingspule mit 200 Watt
Nennbelastbarkeit ist schlicht nicht glaubwürdig, wird aber oft so
angegeben. Bei gleichem Durchmesser ist dann eine Langhubspule einer kurzen
Mitteltönerspule überlegen. Auch Ferrofluid steigert durch
bessere Wärmeableitung die Belastbarkeit enorm.
- "Wie rüste ich denn sinnvoll auf, wenn ich nicht auf einmal viel
ausgeben will ?"
Wichtig ist die richtige Reihenfolge der Schritte : Zuerst die Lautsprecher
aufrüsten und dann erst die Verstärker (grüner Pfad).
Kunden, die es andersrum anpackten (roter Pfad), sind oft im Schritt 2
hängengeblieben und mussten wiederholt Geld für
Ersatzlautsprecher ausgeben.
Innerhalb der Lautsprecherkombination kann man z.B. zuerst die
späteren Topteile fullrange betreiben und dann im zweiten Schritt
mit Subwoofern ergänzen.
- Ich weiss auch nicht, warum es so schwer ist, einfach mal nur eine
100W-Endstufe zu nehmen, wenn die Kombi sicher sein soll. Es gibt nunmal
Lautsprecher, die mit 100 W genauso laut sind, wie andere erst bei 400 W.
Muss denn immer mit einer grossen Wattzahl geprotzt werden ?
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